„Wir können uns ja mal unverbindlich verabreden.“ – Dieser Satz irritiert mich in einem Gespräch immer wieder. Auch nach langen Jahren der Freundschaft oder Bekanntschaften habe ich mit diesem Satz so meine persönliche Herausforderung. Was meint mein Gegenüber damit und was will er damit zum Ausdruck bringen? Was meint „unverbindlich“ in diesem Moment? Ist es pure Höflichkeit oder will er sich nicht festlegen? Befürchtet mein Gegenüber eine Sanktion, wenn er sich festlegt und dann wieder absagt? Was ich in jungen Jahren als „Bindungsangst“ bei manchen Menschen erlebt habe, entwickelt sich immer mehr zu einem allgemeinen sozialen Phänomen. In diesem Artikel schaue ich mir diese Besonderheit an und habe auch die Bezeichnung „Mingle“ dafür gefunden, die ich später im Text erkläre.
Verbindlichkeit ist nicht mehr attraktiv
Die multimedialen Kids und jungen Erwachsenen (und nicht nur die) lieben schon lange ihre iPhones und Co. Sie nutzen diese Smartphones größtenteils mit Apps als Hilfsmittel um… ja, um was vor allem zu tun? Meines Eindrucks nach: um sich unverbindlich oder spontan zu verabreden und wieder abzusagen.
Für jeden von uns wird es in dieser zunehmend digitalisierenden Welt schwieriger, seine eigene Identität zu finden. Trotz der laufend steigenden Angebote versuche ich dennoch mich immer mit irgendetwas zu identifizieren. Ich benötige in meinem Leben eine sinnstiftende Instanz. Mit der Flut an Informationen wird es für mich im Alltag immer schwieriger, etwas wie eine Zugehörigkeit zu empfinden. Das führt auch dazu, dass ich leichtfertig gemachte Verabredungen – ob privat oder beruflich – absage. Und das auch mal nur eine Stunde vorher. Mir fehlt die nötige Bindung und Ernsthaftigkeit für das Versprechen. Oder mir ist die Freundschaft nicht so wichtig
Seit einiger Zeit fühle ich mich mit der Reizüberflutung unwohl. Meine eigene Individualität verkommt langsam zur Orientierungslosigkeit. Ich glaube des Öfteren, dass ich phantastisch individuell bin, weil ich so viele Möglichkeiten an Events und Verabredungen habe. Doch augenscheinlich habe ich eine gewisse Hemmung mich dann festzulegen. Mich im realen Leben zu zeigen. Mich zu etwas zu bekennen. Mich zu entscheiden und dann zu dieser Entscheidung zu stehen. Dieser Schritt beinhaltet für mich dann eine klare Verbindlichkeit. Diese Verbindlichkeit ist eine sehr wichtige Tugend im Sozialverhalten. Ohne sie kann ich keine sozialen Beziehungen eingehen und auch halten. Mein Gefühl der Zugehörigkeit ist ein menschliches Grundbedürfnis. Und dem sollte ich nachgehen.
Ich nutze WhatsApp und schließe mich nicht aus, weil ich dabei sein möchte, wenn es um Verabredungen geht. In letzter Zeit ist es für mich schon auffällig, wie leicht es ist, den inneren Schweinehund nicht zu überwinden. Ein Beispiel gefällig? Bitte schön: Ich habe mich für letzten Sonntagnachmittag mit einem Freund zum Grillen verabredet. Gegen Mittag sehe ich aus dem Fenster und dicke Gewitterwolken ziehen auf. Kurze Zeit später: seine Absage steht schwarz auf weiß in der WhatsApp Nachricht. So oder so ähnlich passiert mir das in letzter Zeit häufiger. Und ich scheine nicht der einzige Leidtragende der Unverbindlichkeit zu sein.
Unverbindlichkeit wird gesellschaftsfähig
Ich bin mehr oder weniger gut beschäftigt und aktiv. Wahrscheinlich ähneln wir uns da. Ich bin oft unterwegs auf Kundenbesuch und ausreichend „Freizeitbeschäftigung“ habe ich auch. Die Freizeit verplane ich manchmal so, dass ich von „freier Zeit“ schon fast nicht mehr reden kann. Ein langjähriger Freund empfand bereits die komplette Durchstrukturierung seiner Freizeit mit Unterstützung seines Outlook-Kalenders als bahnbrechende Entwicklung zu einer befriedigenden Work-Life-Balance. Wenn ich ihn so beobachte, kommt er mir nicht wirklich zufriedener oder ausgeglichener vor. Ich spreche ihn darauf an und er schaut daraufhin äußerst verdutzt. Wie selbstverständlich entgegnet er: „Ich kann ja jederzeit absagen, ich schaffe mir doch nur Optionen!“
Ach so, Optionen, denke ich und schüttele den Kopf. Das ist es also, was dir wichtig ist. Möglichkeiten, Vielfalt oder nennst du es gar Freiheit der Entscheidung? Wie bezeichnest du diese Situation? Was ist mit der anderen Person? Wie fühlt sie sich, wenn du deine Option einer Verabedung nicht durchziehst, sondern absagst? Fühlt die Person sich respektiert? Fühlt sie sich als Freund oder Freundin? Sie fühlt sich bestimmt nicht ernst genommen. Als nicht vorhanden, als Gegenstand, den man bei Nichtnutzung in die Ecke stellen kann. Es ist so leicht eine Absage zu schreiben und den Button „Senden“ zu drücken. Oder? Was passiert nach der dritten Absage? Ist die Freundschaft so stark, dass sie diese Unverbindlichkeit aushält? Auf Dauer geht das bestimmt nicht gut, oder? Wir alle brauchen in unseren sozialen Strukturen und Verhaltensweisen eine Verbindlichkeit.
Grundsätzlich hat mein Freund mit seiner Äußerung den Kern des Problems genannt: Er kann seine freie Zeit für seine persönliche Erholung nur dann nutzen, wenn er anderen gegenüber unzuverlässiger wird. Indem er die gemachten Verabredungen oder Termine wieder absagt. Damit verschafft er sich wieder mehr Zeit für sich selber.
Der Trendforscher Peter Wippermann hat für diese Situation einen Namen gefunden: Er bezeichnet Personen, die in dieser Haltung der neuen Unverbindlichkeit leben, „Mingles“ – zusammengesetzt aus „mixed“ und „Singles“. Der Begriff könnte sich aber auch von „to mingle“ ableiten, was „sich unters Volk mischen“ bedeutet. Das tun „Mingles“ nämlich sehr gern. Allein oder zu mehreren. Egal. Aber auf keinen Fall mit einer verbindlichen Verabredung oder einem Termin.
Die neue Unverbindlichkeit
Ich erlebe in meinem privaten Umfeld ein neues Verhalten. Wir verabreden uns erst wenige Stunden vorher oder sogar noch spontaner. Genauso gehen wir mit Einladungen von Events um: Wir sagen schnell zu, wir möchten uns die Option der Teilnahme sichern. Wenige Stunden oder noch kürzer vor dem Event entscheiden wir uns, dass wir doch keine Lust haben. Wir hätten ja gehen können, wenn wir gewollt hätten. Wir haben uns jedoch dagegen entschieden. Ist das nicht cool? Wir denken dann vielleicht: „Wie individuell und spontan ich bin!“
Ich aus meiner Perspektive nenne das die neue „Unverbindlichkeit und Spontanität“, die keine Zuverlässigkeit mehr ermöglicht. Zuviele egoistische Mingles in der eigenen Umgebung schaden demjenigen, auf den Verlass ist. Wenn ich mich auf die Verabredung mit einem Mingle verlasse, bin ich verlassen. Die aufkommende Gefahr hier besteht in der emotionalen Vereinsamung und Isolation der Menschen in der Gesellschaft. Und das wäre schade. Achten wir doch wieder ein bisschen mehr aufeinander bei Verabredungen. Sei kein Mingle, sei ein zuverlässiger Freund! Wenn du einen Mingle zum Freund hast, kannst du ihm ja diesen Artikel mal senden – zum Beispiel per WhatsApp. Vor der nächsten Verabredung!
Wie erlebst du dieses Thema? Was ist dir in deinen Beziehungen bei Verabredungen wichtig? Ich freue mich auf deinen Kommentar dazu.
Dein Thomas