Fest gelegte Abläufe geben mir Sicherheit und in Stresssituationen beruhigen sie mich.
Bei Hochzeiten, beim Geburtstag oder in der Vorbereitung auf den Familienurlaub: Rituale sind wichtig, sie bedeuten ein bisschen „Heimat“.
Erstaunlich finde ich, dass der Begriff des Rituals, der sich vom ritus = Gebrauch, Sitte herleitet, erst im 19. Jahrhundert geprägt wurde. Im nächsten Schritt wurden Rituale in entsprechende Theorien eingebunden. Inzwischen gibt es eine Fülle unterschiedlicher Denkschulen und Ansätze. Jeder scheint versucht, das Thema „Ritual“ verstehen zu wollen. Oft werden Rituale mit einem bestimmten Ablauf bei Massenereignissen wie Fußballspielen, Musikkonzerten oder Werbekommunikation in Verbindung gebracht.
Was jetzt: Ritual oder Ritus?
Ritus und Ritual beschreiben soziales Verhalten, das oft (aber nicht exklusiv) in einem religiösen Kontext erscheint. „Ritus“ soll als die kleinere Sinneinheit verstanden werden, während „Ritual“ die größere, aus vielen Einzelriten bestehende Sinneinheit meint, die in ihrer Ganzheit eine spezifische Botschaft kommuniziert. Die Begriffe Ritual und Ritus werden oft in religiösen Kontexten gebraucht, obwohl Rituale an sich nicht religiös sind.
Unbestritten ist, dass religiöse Rituale in unseren Breiten christlichen Ursprungs sind. Von alters her den Weg des Menschen von der Wiege bis zur Bahre begleiten. Sei es die Taufe, die Kommunion oder Konfirmation, der Empfang der Sterbesakramente oder die Bestattung.
Was sind Rituale?
Beim Besuch ausländischer Staatsgäste ist das militärische und diplomatische Zeremoniell ein Ritual. Es enthält Reste der höfischen Formensprache. Damit der Besuch als Ritus geschehen kann, hat der Ablauf festzustehen. Er hat einer lang erprobten und allgemeingültigen Form zu folgen. Deshalb ist der Besuchsablauf als Ritual ein zentrales Element einer Tradition. Der Philosoph Hermann Lübbe hat dazu gesagt: „Tradition gilt nicht wegen ihrer erwiesenen Richtigkeit, sondern wegen der Unmöglichkeit, ohne sie auszukommen.“
Treue, Verlässlichkeit oder Verantwortung als ethische Prinzipien kann ich nicht schmecken, riechen oder essen. Mit dem passenden Ritual – einer Hochzeit oder einem Bindungsritual – mache ich diese für mich greifbar. Dadurch zeige ich diese Tugenden in meiner Gemeinschaft. Sie werden für mich und dich teilbar. Rituale machen Abstraktes im Leben real.
Rituale für Routinen
Ist das Zähneputzen morgens und abends ein Ritual? Ich höre dich sagen: „Für mich auf jeden Fall“. Denn das Ritual gibt Struktur und Vorhersehbarkeit, das ist ganz wichtig. Rituale können auch dabei helfen, Routinen leichter zu bewältigen.
Viele Eltern bringen ihren Kinder das Zähneputzen so näher. Sie verbinden mit dem Vorgang des Putzens ein Ritual. Einen immer wieder kehrenden Ablauf. So können sich die Kinder an das Säubern der kleinen Beißerchen leichter gewöhnen. Im Erwachsenenalter ist es dadurch zu einem selbstverständlichen Ritus geworden.
Was ist mit dieser Abfolge?
- die Kaffeemaschine einschalten,
- das Brötchen aufschneiden und dann
- die Zeitung aus dem Briefkasten holen.
Klingt eher wie Gewohnheit. Ein Ritual scheint es nicht zu sein, oder?
Wichtig für unseren Tagesablauf
Der heutige Alltag scheint meiner Ansicht nach Rituale nicht zu unterstützen. Die stetig proklamierte Idee der Innovation der Wirtschaft führt zu einem Nach-Vorn-Blicken nach Neuem. Allerdings scheint mir, dass wir eben deshalb im althergebrachten Ritual einen Halt suchen. Was mich an diesem Thema so begeistert: Scheinbar gehören Rituale zum modernen Leben. Sie scheinen in gewisser Weise sogar wichtiger zu sein als die Religion mit ihren Thesen und Dogmen.
„Rituale geben einen bestimmten Ablauf vor, der uns Ruhe und Sicherheit gibt“, sagt die Psychologin Meike Watzlawik von der Technischen Universität Braunschweig. „Wir alle brauchen Rituale, um unsere Umwelt zu strukturieren. So haben wir das Gefühl, mehr Kontrolle zu haben.“
Das Ritual besteht aus immer wiederkehrenden festgelegten Abläufen. Die ständige Wiederholung trainiert mein Gedächtnis. Dadurch werden Zusammenhänge über lange Zeiträume hinweg für mich und dich erlebbar gemacht und gefestigt. Rituale dienen mir das Auf und Nieder des Lebens zu seinen Bedingungen leichter anzunehmen; auch diese Schwankungen auszugleichen. All das sind beeindruckende, bis heute wirksame Sichtweisen auf Rituale, die jeder von uns täglich nutzt. Dass ich definitiv verstehe, was ich da mache, ist selten der Fall.
Fazit
Durch Rituale kommt Leichtigkeit und auch Vorfreude in mein Leben. Durch den Kauf der Trauringe, die Auswahl des Hochzeitsessens. Auch im Zurechtlegen meiner Urlaubsgarderobe oder die gemeinsame Vorfreude auf den Spaß am Strand. All dies trägt dazu bei, dass die Spannung steigt und mir einen kleinen Schauer gibt.
Welche Rituale lebst du in deinem Alltag?
Dein Thomas