Letzte Woche kam Frau Dorian völlig aufgelöst ins Coaching. Die Sitzung begann mit Folgendem: „Ich bin völlig verzweifelt, Herr Wehrs, mein Partner hat mit mir ein ernstes partnerschaftliches Gespräch geführt. Und wissen Sie, was er mir als Begründung nannte? Ich sei nicht fähig meine Gefühle zu zeigen.“ Ich fragte nach, wie er das gemeint haben könnte. „Nun ja, ein bisschen könnte er wohl Recht damit haben. Er meinte, dass ich nicht mitbekommen würde, wenn es ihm schlecht geht, und ich ihn dann nicht in den Arm nehmen würde.“ Ich fragte weiter nach: „Und kann an dieser Aussage was dran sein?“ Frau Dorian überlegte einen Moment, schaute mich nachdenkend an und entgegnete: „Nun ja, wenn ich ehrlich bin, habe ich nie wirklich gelernt meine Gefühle zu zeigen. Ich wurde von meinen Eltern auch nie in den Arm genommen. Kann ich das als Erwachsene nachholen und erlernen?“, schaute Sie mich fragend an.
In diesem Artikel zeige ich auf, wie wichtig die emotionale Erziehung für kleine Kinder ist. Als Vorbild sind die Eltern oder Erziehungsberechtigten „in der Pflicht“, eine gesunde emotionale Beziehung vorzuleben. Sie sollten Kinder ermuntern, zu ihren Gefühlen zu stehen.
Eine ganz alltägliche Situation
„Du, Mami, ich möchte ein Eis“ sagte Lea. Sie war gerade mit ihrer Mama auf dem Weg zum Kindergarten. Marie, die Mutter, war leicht genervt. Sie waren zu spät aus dem Haus. Der Bus war ihnen vor der Nase weggefahren. „Nimm dich nicht so wichtig. Du bist nicht die Einzige mit Bedürfnissen in der Familie“, fauchte Marie ihre Tochter an. Solch eine unbedachte Aussage von Marie kann Lea emotional tief treffen und fürs spätere Leben prägen. Denn in der Kindheit lernt Lea erstmalig Gefühle kennen. Den Umgang damit auch. Als Vorbild dient hier Marie und der Partner oder die Partnerin als Bezugspersonen.
Elternappelle und Kinderreaktion
Als Kind brauche ich soziale Kontakte, damit ich lerne was Gefühle sind. Meine ersten Kontakte hier sind Mama und/oder Papa. Ich schaue mir an wie sie das machen. Kannst du dich noch daran erinnern? Wie haben deine Eltern sich mit ihren Gefühlen gezeigt? Welche Dinge erschienen ihnen wichtig? „Räum dein Zimmer auf“, war so ein Spruch in meiner Kindheit. Ich hatte keine Ahnung, aus welchem Gefühl dieser Spruch kam. Oder „Mach nicht so einen Lärm, du störst ja die Nachbarn.“ Welches Gefühl war hier der Auslöser für den Satz?
Mit dem Zimmeraufräumen und dem Leisesein hatte ich’s halt als Junge und Heranwachsender nicht „so genau“. Meine Eltern hatten hier scheinbar eine andere Sicht auf die Dinge. In meiner Kindheit herrschten Abenteuerlust, Chaostheorien oder spannende Erfahrungen. Draußen in der Welt. Außerhalb vom Elternhaus. Das war farbenfroh und abwechslungsreich. Da erlebte ich Geschichten und Dramen. In meiner Welt war kein Platz für Ordnung halten. Oder öde Strukturen. Das fand ich langweilig. Ich wollte lieber entdecken und forschen. Das fand ich attraktiv und spannend.
Kind zu sein heißt: Nicht vernünftig zu sein
Jetzt höre ich dich sagen „Ja, aber das ist doch richtig. Das Kind muss doch diese Dinge lernen. Und das geht nur im Elternhaus und durch das Vorbild der beiden Partner oder des einen Elternteils.“ Ich gebe dir vollkommen Recht. Meiner Meinung nach ist diese Aufgabe im Elternhaus verdrahtet. Hier sollten Kinder den Umgang mit Anforderungen an sie erlernen. Außerdem sollten sie hier lernen und üben ihre Gefühle dazu äußern zu können. Als auch die Reaktionen darauf durch die Eltern zu erleben und auszuhalten. Ich spreche jetzt nicht von Gewalt als Reaktion. Mir geht es um Augenhöhe; um respektvollen Umgang; das Ernstnehmen der kindlichen Bedürfnisse. Nach meiner Ansicht darf das „Kindsein“ ausgelebt werden. Soll sogar, oder? Ohne den Anforderungen der Eltern immer und überall gerecht werden zu müssen.
Ich hatte so meine eigenen Strategien. „Wünsche“ meiner Eltern zu hören oder auf sie zu reagieren. In der Transaktionsanalyse, einem Ansatz der Verhaltenspsychologie, gibt es zu dieser Situation eine Theorie. Ein Kind wählt zwischen drei Möglichkeiten aus. Und das läuft vollkommen unbewußt. Es geht jetzt um die jedem bekannte Aufforderung, das Kinderzimmer aufzuräumen.
Hier drei mögliche Reaktionen des Kindes:
- Ich passe mich als Kind an und übernehme die Wünsche meiner Eltern. Ich gehe auf unterschiedliche Weise auf das ein, was meine Eltern von mir wollen. Soll heißen, ich räume mein Zimmer auf.
- Ich gehe in die Rebellion und mach was anderes. In der rebellischen Variante reagiere ich durch Trotz und mit Schmollen. Ich mache genau das Gegenteil von dem, was von mir gewünscht wird. „Jetzt erst recht nicht“ – ist meine Antwort auf den Wunsch.
- Es gibt Situationen, in denen ich mich als Kind völlig frei und unabhängig von elterlichem Druck verhalte. Ich führe mich so auf, wie ich gerade möchte. Weine, wenn mein Hamster gestorben ist und bin wütend, wenn mich jemand geschubst hat. Also folge ich mal dem Wunsch das Zimmer aufzuräumen und mal nicht.
Eine wissenschaftliche Meinung dazu
„Zu lernen, mit den eigenen und den Gefühlen anderer umzugehen, ist eine bedeutende Entwicklungsaufgabe der frühen Kindheit, die im Verlauf der emotionalen Entwicklung zur Ausbildung entsprechender Fertigkeiten und zum Erwerb einer umfassenden emotionalen Kompetenz führt“, so die Psychologin Carolyn Saarni in ihren diversen Veröffentlichungen.
Das Kind kommt unvorbereitet in emotionale Situationen. Quasi als „Neuling“. Diese neuen Eindrücke erzeugen viele Gefühle im Kind. In diesen Momenten sind Eltern oft erstaunt, mit welch großer Intensität das Kind seine Gefühle erlebt und auch auslebt. Wie schwierig ist es für Papa oder Mama dann, sich in dieses kleine Wesen hineinzufühlen. Das ist keineswegs einfach, doch es lohnt allemal. Als Eltern sollten wir uns dieser Herausforderung stellen. Zum Wohle unserer Kinder. Und zu unserem eigenen Wohl. Weil Eltern oder Erziehungsberechtigte hier den Grundstein für gesunde emotionale Beziehungen legen. Und das nicht nur für’s Kind.
Zum Schluss
Die Verantwortung für die emotionale Erziehung der Kinder liegt eindeutig im Elternhaus. Beide Eltern, ob Frau/Frau, Mann/Frau, oder Mann/Mann haben hier die einmalige Chance die Basis für das spätere Leben der Kinder zu gestalten. Wie gehe ich mit meinen Gefühlen um? Darf ich überhaupt meine Gefühle haben? Wie rede ich über meine Gefühle? Diese Aspekte sollten in der Erziehung einen wichtigen Stellenwert haben, damit aus heutigen Kindern in späteren Jahren Erwachsene werden, die eine gesunde emotionale Beziehung zu sich und anderen führen können.
Frau Dorian konnte ich übrigens beruhigen: mit dem Hinweis, dass sie im Coaching den Umgang mit Gefühlen erlernen und eine emotionale Kompetenz aufbauen kann.
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Dein Thomas