Muttertag steht mal wieder vor der Tür. Nun könnte mir das ja völlig egal sein. Du, Mama, hast oft genug betont, dass das ja gar kein echter Feiertag sei und wir ihn nicht beachten sollen. Trotzdem hast du dich über den Frühstückstisch mit den selbstgemalten Bildern immer gefreut. Stimmt, oder? Geschenke oder essen gehen fandst du für diesen Anlass immer übertrieben – und uns, deinen Kindern, kam das ganz gelegen.
Nun sind wir alle älter geworden und das Thema der Dankbarkeit rückt anders und bewusst in den Fokus. Deshalb möchte ich dir mit diesem offenen Brief danken:
Dank für das Selbstverständliche
Liebe Mama, ich wünsche dir alles erdenklich Gute zum Muttertag. Bleib mir bitte noch viele Jahre erhalten und achte auf deine Gesundheit. Bleibe auch weiterhin offen für Neues und genieße die Zeit, auch im hohen Alter. Ich möchte dir sagen, wie dankbar ich dir bin. Für alles, was du für mich getan hast.
Es fällt mir nicht leicht, dir zu danken. Für all das, was ich so selbstverständlich von dir genommen habe. Ich meine nicht nur die vielen Gespräche und die Zuversicht, die du mir geschenkt hast. Ich denke auch nicht unbedingt an die vielen Waschmaschinen voller Wäsche, die du für mich gewaschen und gebügelt hast.
Ich denke eher an die Zeiten, in denen Du mir zugehört hast. Dein Vertrauen in mich und meine Entscheidungen, dass Du mich meinen Weg hast gehen lassen. Heute weiß ich, wie wichtig das alles für mich war und wie anstrengend es für dich gewesen sein muss. Du hast mir das Gefühl gegeben, dass alles möglich war und ich mich ausprobieren sollte.
Kannst du dich noch an meine Entscheidung erinnern, den öffentlichen Dienst zu verlassen? Ich konnte deine Sorgen über meine Zukunft regelrecht in deinen Augen ablesen. Doch du hast nicht dagegen gesprochen oder versucht mich vom Gegenteil zu überzeugen. Du hast mich mit deinen Worten unterstützt. Das war mir damals eine große Hilfe zu wissen, dass es in Ordnung war, den vorgezeichneten Pfad zu verlassen.
Oder meine Zeit in den USA. Wie besorgt du warst und deine ängstliche Frage, wann du mich wohl wieder sehen würdest. Du hast mich gehen lassen, deine Sorgen für dich behalten und erst viel später mit mir geteilt. Da lebte ich schon wieder lange in Deutschland.
Wie sehen die Freunde das Thema?
In Gesprächen mit Freunden und Bekannten fällt mir auf, wie schwierig das Verhältnis manchmal zu den eigenen Eltern ist – und im Besonderen zu Euch, unseren Müttern. Neben der Dankbarkeit gibt es viel Schwieriges, Unverarbeitetes oder Nachgetragenes. Hier bleibt vieles oft unausgesprochen. Sogar über Jahre oder Jahrzehnte. Ihr Mütter zeigt uns den Weg in unser Leben. Ihr Mütter seid es, die uns Kindern immer wieder das Gleiche sagen müsst. Ihr Mütter seid es, mit denen wir uns als Kinder täglich reiben – oft mehr als mit unseren Vätern, bis wir unser Elternhaus verlassen. Danach ist das dann nicht zu Ende. Die Auseinandersetzung geht weiter … Man selber bleibt immer Kind und die Mutter bleibt Mutter.
Selbst Jesus tat sich mit seiner Mutter schwer: „Wer ist meine Mutter? Wer sind meine Geschwister?“, sagt er in Anspielung auf die neue Gemeinschaft, die er im Kreise seiner Freunde und Jünger fand. Für Jesus ist es wichtig für seine Mission alles hinter sich zu lassen. Mich beeindruckt dabei, mit welcher Geduld seine Mutter seinen Leidensweg begleitet. Sie muss doch schon früh gemerkt haben, dass das Besondere im Leben ihres Sohnes ihr ein starkes Mit-Leiden verursachen würde. Trotzdem steht sie zu ihm, auch über seinen Tod hinaus.
Ich weiß, dass der Muttertag eine recht junge Erfindung ist, die vor ca. 100 Jahren aus Amerika kam. Viele Leute mögen ihn nicht und halten ihn für einen kommerziellen Trick, damit Blumen verkauft werden oder ein besonderes Essen anzupreisen.
Dennoch wird mir zu diesem Tag bewusst, dass es Dinge in meinem Leben gibt, die niemals selbstverständlich sein dürfen – Dinge, die mich geprägt und oft unbemerkt mit auf den Weg gegeben worden sind. Und dafür danke ich Dir.
Dein Sohn.