Die eigenen Gefühle in einer Beziehung zu zeigen: Was früher undenkbar war, ist mittlerweile möglich. Teilweise wird es sogar als wichtige Voraussetzung für eine gute und funktionierende Beziehung gesehen. Wir übernehmen immer mehr Verantwortung für unsere Empfindungen. Dann versuchen wir mit unserem Partner darüber zu reden. Auf Augenhöhe und ohne Schuldzuweisungen. In der Wissenschaft wird das als emotionale Kompetenz bezeichnet. Ich habe ein Gefühl, kann dieses für mich einordnen. Zum Beispiel Wut, Ärger oder auch Trauer und Freude.Ich rede mit meinem Partner drüber. Dadurch kann er sich ein Bild meiner inneren emotionalen Situation machen und darauf reagieren.
Beispiele aus dem täglichen Leben helfen zu verstehen, was emotionale Kompetenz bedeutet. Im Coaching und in persönlichen Gesprächen passiert es dann auch öfter, dass ich mitbekomme, was mein Gegenüber bewegt. Die Geschichte von Frau Stolz und ihrem Partner, die ich hörte, macht es deutlich.
Gleichzeitig Wut und Ärger empfinden
„Mann, hab ich mich über Stephan geärgert!“ Mit diesem Spruch kam letzte Woche Frau Stolz zu mir ins Coaching. „Ich bin echt wütend auf ihn!“, schimpfte sie. „Was ist denn passiert?“, fragte ich sie. „Für wie dumm hält der mich eigentlich?“, schoss es aus ihr heraus. „Der denkt wohl, ich bin blöd, oder was? Wie würden Sie sich fühlen, wenn ihre Frau ihnen vorgaukelt, Überstunden zu machen? Und dann sehen sie sie in einem Restaurant in Begleitung.“
Oh, die Frage machte mich nachdenklich. Das saß, was sollte ich da jetzt drauf sagen? Ich fühlte mich gefühlsmäßig in zwei Funktionen. Als Mann fühlte ich den Ärger und die gleichzeitige Wut in Frau Stolz, und in meiner Position als Coach überlegte ich, wie wir das Thema nun angehen.
Was war passiert?
„Erzählen sie doch mal der Reihe nach“, bat ich Frau Stolz. Sie holte Luft, trocknete sich eine Träne und erzählte mir dann, was sie so aufgebracht hatte. „Also, ich hab ihnen doch vor circa einem Monat erzählt, dass ich mit Stephan Stress hatte, wegen der wenigen Zeit, die wir miteinander verbringen. Und ich hatte hier im Coaching mit Ihnen einen Plan entwickelt, wie ich das ändern kann. Das hab ich ja auch gemacht.“ Ich lobte sie: „Das ist doch toll, Frau Stolz, dass sie sich für ihre Wünsche einsetzen und ihre Bedürfnisse ihrem Partner gegenüber kommunizieren.“ Sie erwiderte: „Ja, das dachte ich ja auch. Wir haben dann drüber geredet, und er versprach mir sich zu bessern und mehr Zeit mit mir zu verbringen. Er meinte, dass es aktuell so viele Projekte gäbe, die er erledigen müsste. Daher vergißt er manchmal die Zeit und erschreckt sich, wie spät es dann schon wieder geworden ist.“
Einmal drüber reden muss noch keine Änderung ergeben
„Und wie ist es jetzt zu dieser Situation gekommen, in der wir uns hier gerade befinden?“, fragte ich sie. „Nun ja, das war so: Wir verbrachten ein richtig harmonisches Wochenende miteinander, an dem wir mal wieder in unserem Lieblingsrestaurant waren. So ein leckerer Italiener, ganz ohne Pizza oder Pasta, wissen Sie. Es war echt schön, danach sind wir nach Hause und haben noch ne Flasche Wein gemeinsam getrunken. Nun ja, sie wissen schon, und dann sind wir miteinander ins Bett gegangen.“ Bei diesem Satz errötete sie ein wenig, Ich sah beim Erzählen das Strahlen in ihren Augen, wie sie das Wochenende und das Gefühl der Gemeinsamkeit und der Anerkennung durch Stephan nochmal durchlebte. „Und dann DAS!“ Ich fragte nach: „Was ist das, was sie mit DAS meinen, Frau Stolz?“ Ich wusste gerade nicht genau, ob ich sie richtig verstanden hatte. Vielleicht hatte ich was verpasst oder übersehen? Ich wollte genau wissen, was sie mit dem letzten Satz, diesem Ausruf, meinte.
„Wie? Was ist DAS?“, schaute sie mich irritiert an. „Frau Stolz, ich möchte nur wissen, was sie mir sagen wollen, mit dem letzten Satz.“ Sie entschuldigte sich indirekt: „Ach so. Da war ich wohl wieder zu schnell“, schmunzelte sie. „Also, ist doch ganz einfach“, meinte sie, „nach dem Wochenende dachte ich, alles wäre jetzt geklärt und er würde jetzt wissen, wie ich mich fühle. Und ich hab geglaubt, dass er verstanden hätte, was ich von ihm wollte. Ich glaube, ich ärgere mich über mich selbst, wie naiv ich oft bin. Ich bin wütend auf ihn, dass er mich einfach anlügt.“
„Ok, Frau Stolz, nun habe ich es verstanden, was sie mir sagen wollen. Ich versuche es mal mit meinen eigenen Worten. Nach dem tollen Wochenende haben sie angenommen, dass Stephan mehr Aufmerksamkeit auf das Private aufbringt und sich anders verhält. Sie spürten eine Freude über das Erreichte. Jetzt im Moment sind sie wütend über Stephan und gleichzeitig ärgern sie sich über sich selbst. Wütend darüber, dass Stephan scheinbar nichts verstanden hat, was sie ihm aufzeigen wollten. Ärgerlich über sich selbst, weil sie glaubten mit einem Gespräch und einem tollen Wochenende hätten sie das Problem vom Tisch.“ „Ja, genau.“, antwortete sie. „Ich bin enttäuscht und weiß jetzt nicht, was ich machen soll.“
Es gibt keinen perfekten Menschen
„Mmhh, lassen sie mich mal überlegen“, dachte ich laut, zu ihr gewandt. Ich versuchte mich in die Gefühlslage von Frau Stolz zu versetzen. Wie würde ich die Situation angehen, wenn ich Wut und Ärger in mir spüre? Meine Gedanken kamen in Gang:
Als erstes könnte ich mir selbst verzeihen, dass ich mich ärgere und wütend bin. Wenn dieser Ärger regelmäßig in mir hochkommt, könnte ich mich damit auseinandersetzen, um nicht mehr in diese „Falle“ zu treten. Meine Wut über den anderen könnte ich aussprechen. Das wäre das Beste. Und zwar dahin adressiert, wo der Ärger herkommt. Also meinem Partner, der ihn in mir hervorgerufen hat. Ich könnte zu ihm gehen und sagen, dass sein Verhalten diese Wut in mir erzeugt. Dass ich mir von ihm wünsche, darauf mehr Rücksicht zu nehmen und auch Verständnis aufzubringen.
Könnte das ein Lösungsansatz sein? Wir wissen: Es gibt keinen perfekten Menschen, der einhundertprozentig zu mir passt und mich versteht. Was denkst du? Hast du so etwas auch schon mal erlebt? Bist Du enttäuscht von deinem Partner oder deiner Partnerin? Er oder sie hat sich schon wieder „etwas geleistet“, was du nicht möchtest oder erwartet hast. Was machst du dann?
Demnächst treffe ich mich wieder in einem Coaching mit Frau Stolz. Wenn es etwas Neues gibt, dann werde ich weiter berichten. Es bleibt auf jeden Fall spannend. Wir drücken Frau Stolz die Daumen, dass sie aus der Situation das Beste macht.
Dein Thomas
Die Namen der Personen sind frei erfunden beziehungsweise anonymisiert. Die Geschichte ist jedoch wirklich so passiert.