Ein Streit oder eine Auseinandersetzung gehören für mich in jede gute Beziehung. Ich denke, es ist nicht möglich sich ausschließlich gut zu verstehen oder immer einer Meinung zu sein. Dafür bleibe ich in einer Partnerschaft ein Individuum mit meinen ureigenen Wünschen und Bedürfnissen. Da kann ruhig gestritten werden. Da kann zwischen meinem Partner und mir auch mal Uneinigkeit vorkommen. Das ist eine ganz normale Situation. Doch ab wann ist das Streiten eine Belastung für die Beziehung? Wann ist der Punkt erreicht, dass zu viel Streit in der Partnerschaft vorkommt? Dieser Frage gehe ich in diesem Artikel nach.
Ist es schon ein Streit oder noch eine Diskussion?
Manchmal fühle ich Gegenwind in meinen zwischenmenschlichen Beziehungen. Es gibt Streit, Auseinandersetzungen und wiederkehrende Diskussionen zum gleichen Thema. Umso mehr ich mich diesem Gegenwind entgegenstellen möchte, umso anstrengender wird das Ganze.
Ich frage mich dann oft, ob dieses ganze Durcheinander von Gefühlen überhaupt notwendig ist. Wenn es mir zu viel wird, würde ich am liebsten einfach davon laufen, die Situation verlassen und vielleicht sogar gar nicht mehr zurückkommen. Dieses ständige Auf und Ab der Emotionen. Ständig muss ich mich selber finden und das nur, um mich anschließend wieder zu verlieren.
Durch diese Achterbahn an Gefühlen geht es manchmal sogar so weit, dass ich mich oder die andere Person in Frage stelle. Oder in meinem Kopf beschäftige ich mich mit meinem persönlichen Worst-Case-Szenario:
Was kommt auf mich zu, …
- … wenn ich wieder alleine bin?
- … wenn ich gezwungen werde, aus der Wohnung auszuziehen?
- … wenn ich gar verlassen werde und allein zurückbleibe?
In diesem Moment fühlt es sich nicht gut an, der Streit nagt an meiner sonstigen Gelassenheit. Ich fühle mich nach dem Streit leer. Doch das Wichtigste behalte ich immer im Kopf:
An sich ist ein Streit nicht negativ.
Du glaubst mir nicht? Mit aller Überzeugung kann ich sagen: Ja, ein Streit ist sogar ein wichtiger Entwicklungsprozess in der Partnerschaft. Nicht umsonst sprechen Fachleute von einer so genannten „Storming-Phase“. Während dieser speziellen Phase treten Konflikte auf und die Spannungen sind erhöht. Die Zeichen stehen auf „Sturm“, sagt man ja auch so schön umgangssprachlich.
Die Storming Phase ist somit eine notwendige Voraussetzung, damit ich die gemeinsame Ebene des Miteinanders finden kann. Man stellt sich dabei Fragen:
- Wie verhalte ich mich, wenn ich mit dem Partner nicht einer Meinung bin?
- Wie respektiere ich seine Wünsche und seine Bedürfnisse?
- Ignoriere ich die Wünsche meines Partners?
- Versuche ich meinem Partner seine Wünsche zu erfüllen?
Am Anfang einer Beziehung ist das noch ganz leicht zu beantworten. Mit zunehmender Dauer der Beziehung wird daraus immer mehr ein innerer Kampf. Die Phase braucht Zeit und auch ein bisschen mehr Erfahrung, um damit umzugehen. Man lernt sich selber kennen und fragt sich: Mit welchem Verhalten bin ich bei mir einverstanden? Wenn es um unerfüllte Wünsche geht oder Unzufriedenheit, dann kommt die nächste Überlegung: Was und wieviel hält die Beziehung aus?
In jeder Beziehung ist ein gewisses „Implodieren“ notwendig. Das „Ineinanderkrachen“ in der Beziehung gibt die Möglichkeit die gemeinsamen Normen und die gemeinsamen Werte neu oder kritisch zu definieren.
Drei Tipps für den konstruktiven Streit
1. Besinne dich für einen Augenblick
Halte einen Moment inne. Erkenne, wenn sich langsam ein Streit entwickelt. Frage dich in diesem Augenblick: Ist der aufkommende Streit jetzt wirklich nötig?
Wenn du mal sechs Monate in die Zukunft schauen würdest: Ärgerst du dich dann immer noch über dieses Thema? Ja oder Nein? Wenn nicht, kannst du gleich aufhören mit dem Streit. Du brauchst dich darüber nicht zu ärgern. Es lohnt nicht den Aufwand. Und in einem Jahr denkst du darüber gar nicht mehr nach.
Bitte verstehe das gerade Gelesene nicht falsch! Jeder darf seine Meinung haben. Du und dein Partner dürfen unterschiedlicher Auffassung sein. Durch die unterschiedliche Sichtweise entsteht ja an sich kein Streit, oder?
Ich unterscheide hier zwischen einem unangenehmen Streit und einer vorwärtsbringenden Diskussion. Beim Streit geht es oft gar nicht um das Thema an sich, sondern nur darum die eigene Position durchzusetzen. Man möchte dem anderen die eigene Meinung aufzwingen. Es wäre auch möglich, dass man die andere Meinung nicht akzeptieren möchte. Das alles kann unterschiedlich Gründe und Ursachen haben.
Es könnte auch sein, dass irgendetwas in dieser Situation in dir aufgeweckt wird und reagiert. Etwas, was Dich an deine Vergangenheit erinnert und du heute glaubst dich immer noch verteidigen zu müssen.
2. Nimm deinen Schmerz wichtig
Wenn du im Streit unangemessen (zum Beispiel angespannt, aufbrausend oder verärgert) reagierst, dann bitte um eine Auszeit.
Komm zur Ruhe und finde heraus, was dich so reagieren lässt. Das ist vermutlich gar nicht mal so einfach herauszufinden. Es wird in dieser Situation, für diesen Streit vielleicht nicht mehr viel ausrichten. Aber es ist wichtig zu wissen, wo ein Auslöser besteht.
Du darfst Dir eine Auszeit nehmen, wenn Du im Streit merkst wie Du reagierst. Eben genau dann, wenn du streitest und nicht diskutierst. Dein „Streitpartner“ wird Verständnis dafür haben, wenn Du offen und ehrlich um eine Auszeit bittest. Du brauchst Abstand zu dieser Auseinandersetzung. Dadurch kannst du einen langen unangenehmen Streit unterbrechen. Meistens tut eine Streitpause gut.
Wenn du dich beruhigt hast, also in der Ruhe angekommen bist, frage dich: Worauf reagiere ich so stark? Versuche Deine Gefühle zu erahnen und vielleicht auch zu benennen. Finde heraus, ob du wütend bist. Oder bist du vielleicht eher traurig? Versuchst du dich zu schützen? Du möchtest nicht enttäuscht oder verletzt werden?
Diese Einsicht kannst du anschließend mit deinem Partner besprechen. Erzähle von deinen Gedanken. Lass deinen Partner an deinem Innenleben teilhaben. Damit kannst du zukünftige Munition für eine Auseinandersetzung vermeiden.
Doch Vorsicht: Lauf bitte nicht grundsätzlich weg vor Auseinandersetzungen, sondern stelle dich dieser Herausforderung. Schritt für Schritt immer ein bisschen mehr.
3. Halte dir das Ziel klar vor Augen
Wenn du streitest oder diskutierst, möchtest du etwas erreichen. Der Grund für einen Streit oder einer Auseinandersetzung sollte ein Fortschritt (und kein Rückschritt) sein. Die Situation sollte somit hinterher besser als vorher sein.
Überlege dir vorab, was dein Ziel in der Auseinandersetzung sein soll: Willst du deine Meinung stark vertreten, dich erklären, deine Position deutlich darstellen oder verteidigen? Oder möchtest du den anderen verändern? Soll deine Meinung eventuell als die einzig Richtige dastehen und willst du das deinem Partner so verkaufen? Hast du das Ziel, die Situation sollte nach der Auseinandersetzung besser sein?
Wenn du ein klares Motiv für den aktuellen Streit hast, ist das hilfreich. Das Gespräch kann dann in einer ganz anderen Stimmung und Atmosphäre ablaufen. In erster Linie möchtest du dich doch austauschen oder deine Meinung vertreten, richtig?
Dabei darfst du den Partner während dieser Aussprache nicht verletzen. Denn jeder möchte seine Meinung behalten und nicht „über den Tisch gezogen werden“. Wie fühlst du dich, wenn dir das mal passiert ist?
Es gibt viele Möglichkeiten wertschätzend und respektvoll miteinander umzugehen. Ein wichtiger Punkt dabei ist, die Meinung des anderen zu hören (ausreden lassen!) ohne gleich direkt ein Urteil darüber zu verhängen. Ohne dass man sofort Ablehnung spüren lasst. Man sollte in jeder Situation Respekt vor dem anders denkenden Partner zeigen – im Guten wie auch im Streit.
Wie machst du das? Wie führst du Aussprachen in deinen Beziehungen?
Ich bin gespannt auf deine Erfahrungen!
Tatsächlich kann ein Streit in einer Beziehung durchaus Vorteile haben, da dieser möglicherweise unterdrückte Gedanken seitens der jeweiligen Partner zum Vorschein bringt. Allerdings sind häufige Streitigkeiten, in denen mitunter auch Beleidigungen oder gar Gewaltanwendung auftauchen, für eine Partnerschaft schädlich. Durch eine Paartherapie können beide Parteien lernen, Meinungsverschiedenheiten mit Kompromissbereitschaft anzugehen, um friedliche Konfliktlösungen zu erreichen.
Danke Lucy für diesen schönen und weiterführenden Kommentar. Gerade in Situationenn mit Beleidigungen und Gewaltanwendungen oder -androhungen ist die Paartherapie eine gute Möglichkeit der Klärung.