Annette kam letzte Woche zu mir zum Coaching. Sie sah ein wenig verweint aus. Leicht gerötete Augen und ein Blick ohne Kraft und Energie. So kannte ich sie sonst nicht. Sie wirkte bedrückt und in sich gekehrt.
„Was ist mit dir?“ fragte ich sie und schaute sie nachdenklich und gleichzeitig interessiert an.
„Ach, Thomas, ich glaube meine Beziehung ist am Ende. Markus und ich haben uns gestern Abend voll gestritten. Schon wieder mal. Es geht immer um das gleiche Thema. So langsam glaube ich, dass wir gar nicht zueinander passen.“
Solche Antworten und Bemerkungen über den Beziehungsalltag höre ich oft. Das Gesagte ist für den Betroffenen in genau dieser Situation wirklich dramatisch und man neigt dann auch gern zur Übertreibung – was die Konsequenzen angeht. Das ist übrigens ganz normal, und auch bei mir so, wenn ich emotional werde. Und es ist auch ein guter Selbstschutz diese Übertreibung zu nutzen.
Ich denke, dass diese Auseinandersetzung, wie die von Annette und Klaus, eine gute Beziehung ausmachen. Man macht sich Gedanken. Das unbedingte Aus deiner Beziehung erkennst du eher daran, ob dir überhaupt noch was am anderen liegt. Wenn du nämlich über eure kleinen Streits hinweg schweigst. Wenn du nicht mehr darüber nachdenkst oder es dir egal ist, was der andere darüber sagt und meint. Dann kann es schon eher sein, dass sich deine Beziehung auf dem absteigenden Ast befindet. Aber so, schätzte ich die Situation von Annette erstmal nicht ein.
Mit Annette sprach ich über die Situation und versuchte ihr einen kleinen Perspektivenwechsel anzubieten.
„Schau mal, du machst dir Gedanken zu eurem Streit. Du sorgst dich um Klaus. Aus meiner Perspektive gesehen, hast du eine gute und verbindende Beziehung mit Klaus. Weil du dir im Nachhinein dein Verhalten anschaust. Weil du von Klaus eine Änderung haben möchtest. Das zeigt mir, wie wichtig dir diese Beziehung ist. Ich sehe keine Gefahr für das kommende Ende. Im Gegenteil: Durch das Nachdenken und Miteinander reden könnt ihr Veränderungen in eurer Beziehung möglich machen. Wenn du nicht sagst, was dich stört, wie soll Klaus dann merken, was in seinem Verhalten eventuell unpassend ist oder was er ändern könnte?“
Annette schaute mich dankbar an, dass ich ihr dabei helfen konnte, ihre Gedanken ein wenig zu ordnen. Sie ging – nachdem wir weitere Details besprochen haben – optimistisch nach Hause und dachte nun wieder positiver über ihre Beziehung.
Doch gibt es auch ganz andere Gesprächsausgänge mit Coachees. Dabei geht es meist um andere Probleme, die ein Paar haben kann. Neulich kam Claudia zu mir in die Sitzung. Sie lebt mit Bernd seit mehr als fünf Jahren zusammen. Sie haben keine Kinder und sind beide stark beruflich engagiert. Claudia brachte das Thema der emotionalen Erpressung mit, die sie durch Bernd immer wieder erlebt. Hierfür möchte sie gern einen Ausweg finden.
Die emotionale Erpressung
Die Erzeugung von Schuldgefühlen beim anderen sind ein machtvolles Instrument, um den Partner zu manipulieren. Die emotionale Erpressung macht gefügiger als der ausgesprochene Satz, dass der Partner Schuld an etwas ist.
„Wenn du es nicht machst, dann muss ich es halt selber machen. Na ja, dann kommst du eben nicht. Ich werde schon alleine zurechtkommen“. Das war so ein Satz, den Bernd des Öfteren an Claudia richtet. Was lösen diese Sätze bei dir aus? Wahrscheinlich ein komisches Gefühl im Bauch verbunden mit einem Schuldgefühl, oder? In der Konsequenz, wenn du kein Herz aus Stein hast, überlegst du dir, ob du nicht doch kommst und hilfst.
In den Beziehungen schieben sich die Partner oft gegenseitig Schuldgefühle zu. „Wenn du nicht so spät kommen würdest, könnten wir mehr Zeit miteinander verbringen“, oder diese Aussage: „Du könntest ruhig öfter früher nach Hause kommen, wir sehen uns ja kaum noch.“
Das sind typische Sätze, die dem anderen ein schlechtes Gefühl geben. Da wäre doch besser zu sagen: „Ich möchte gern mehr Zeit mit dir verbringen. Ich wünsche mir, dass du abends eine Stunde früher zu Hause bist, das fände ich schön. Ist das möglich für dich?“
Jeder von uns versucht bisweilen, andere zu beeinflussen und in seinem Sinne umzustimmen. Aus unserer Kindheit kennen wir, dass ein schlechtes Gewissen uns und die anderen gefügiger macht „klein beizugeben“. Auch meine Eltern haben das eine oder andere Mal Schuldgefühle als Erziehungsmittel eingesetzt. Und vielleicht tun sie es sogar heute noch.
Hier ein paar Beispielsätze, die Schuldgefühle erzeugen sollen:
- „Wie redest du denn mit deiner Mutter?“ – Wenn der Partner ein Gespräch mitbekommt, in dem man der eigenen Mutter mal die Meinung sehr deutlich gesagt hat.
- „Von dir hätte ich das am allerwenigsten erwartet.“ – In vielen Situationen möglich, es zeigt die deutliche Enttäuschung des anderen an der eigenen Person.
- „Ich bin ganz schön enttäuscht von dir.“ – Das ist nun sehr deutlich ausgedrückt. Verfehlt meistens nicht die Wirkung, dass man ein schlechtes Gewissen bekommt und eine Wiedergutmachung anstrebt.
- „Wenn man sich liebt, dann macht man das nicht.“ – Setzt den Partner unter Druck, dass er sich an Konventionen zu halten habe, die von außen vorgegeben werden. Als Druckmittel eingesetzt, um den anderen zu etwas zu bringen, weil daran (angeblich) die Stärke seiner Liebe messbar wäre.
Diese Sätze kennst du bestimmt aus der einen oder anderen Situation. Wie gehe ich nun damit um, wenn mich jemand mit diesen Sätzen „unter Druck“ setzen möchte?
Tricks und Kniffe gegen die emotionale Erpressung
Wie könnte ich mich in den Situationen verhalten?
- Ich könnte mich gedanklich dagegensetzen:
Das soll bedeuten, dass ich mir selber sage: „Ich kann – ihre Wut, oder seine Worte, oder ihre Gefühle zu verletzen oder meine Angst – aushalten.“ - Ich darf mir Zeit nehmen für meine Entscheidung. Wenn ich in dem Moment nicht weiß, was ich sagen kann oder möchte – bitte ich um Zeit.
- Ich darf auch die Regeln überprüfen: Nach dem Motto „Und wo steht das geschrieben, dass ich … muss?“ Das sage ich aber nicht, sonst gibt es eventuell Streit. Ich formuliere diesen Satz besser anders – je nach Situation.
- Ich kann auf ihre Wünsche oder seine Meinung – je nach Situation – mit einem der folgenden Sätze antworten: „Es tut mir leid, wenn du dich so fühlst.“ Oder: „Du hast ein Recht auf deine Meinung.“ Manchmal passender: „Ich kann mir vorstellen, dass du das so siehst“ oder „Wir sehen die Dinge unterschiedlich …“
Der beste Schutz gegen die emotionale Erpressung in einer Partnerschaft ist zu lernen, keine Schuldgefühle zu bekommen. Ich habe gelernt zwischen den Interessen des anderen und den eigenen abzuwägen. Frei und kraftvoll zu bleiben ohne Schuldgefühle. Mich für ein bestimmtes Verhalten zu entscheiden. Welche Erfahrungen hast du gemacht?